Wissenschaftler:innen der Goethe-Universität legen aktuelle Übersichtsarbeit zur Freisetzung von Altlasten aus Sedimenten vor
Eine langfristige Gefahr durch Hochwasser wird häufig unterschätzt: Die reißenden Flüsse wirbeln Schadstoffe aus ihren Sedimenten auf, die von Umweltverschmutzungen vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten herrühren. Solche Schadstoffe können nicht nur ökologische Schäden im Fluss verursachen. In Überschwemmungsgebieten können sich die Schadstoffe ablagern und Ackerpflanzen, Weidetiere und Menschen belasten. Darauf hat ein internationales Wissenschaftsteam in einer Übersicht zu wissenschaftlichen Untersuchungen von Hochwasserereignissen in der ganzen Welt hingewiesen. Die Arbeit ist im Journal of Hazardous Materials erschienen und unter Federführung der Goethe-Universität Frankfurt entstanden.
FRANKFURT.
Sedimente gelten als Langzeitgedächtnis eines Flusses. In der Hauptsache
bestehen sie aus Partikeln, die vom Erdboden abgetragen werden und irgendwann
in Flussdeltas oder im Meer landen. Sedimente können jedoch auch für
verhältnismäßig lange Zeit stabil bleiben – und Schadstoffe binden, die zum
Beispiel durch Bergbau- oder Industrieabwässer in die Flüsse gelangt sind.
Entsprechend befinden sich in vielen Altsedimenten der Flüsse Schadstoffe als
„chemische Zeitbomben“ wie zum Beispiel Schwermetalle oder schwer abbaubare
Dioxine und dioxin-ähnliche Verbindungen.
Bei Hochwasserereignissen in den industriell geprägten Regionen
Europas, Nordamerikas und Asiens können infolge der hohen
Fließgeschwindigkeiten auch Altsedimente aufgewühlt werden. Dabei werden
regelmäßig die in ihnen gebundenen Schadstoffe auf einen Schlag freigesetzt und
kontaminieren Überflutungsgebiete. Bisherige wissenschaftliche Untersuchungen
dazu hat ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlerinnen und
Wissenschaftlern der Goethe-Universität Frankfurt, der RWTH Aachen, der
kanadischen University of Saskatchewan und weiteren Partnerinnen in einer
aktuellen Übersichtsarbeit zusammengestellt. Darin zeigen die Forscher:innen
unter Federführung der Frankfurter Nachwuchsgruppenleiterin Dr. Sarah Crawford
und dem kanadischen Forscher Prof. Markus Brinkmann zum Beispiel auf, welche
Schadstoffbelastungen infolge verschiedener Überflutungsereignisse gemessen
wurden, welche Testsysteme für verschiedene Schadstoffe entwickelt wurden und
wie sich unterschiedliche Sedimente bei hohen Fließgeschwindigkeiten verhalten.
Die Gefahren für die Trinkwassergewinnung werden ebenso geschildert wie etwa
der Einfluss der Temperatur auf die Schadstoffaufnahme durch Fische und
Methoden zur Bewertung der mit der Remobilisierung von Schadstoffen verbundenen
ökonomischen Kosten.
Henner Hollert, Professor für Umwelttoxikologie an der
Goethe-Universität Frankfurt und Seniorautor der aktuellen Publikation ist
trotz der langjährigen Forschung zum Thema sehr besorgt: „Ich habe den
Eindruck, dass das Problem der Schadstoffe aus den Altsedimenten in Deutschland
und auch in Europa stark unterschätzt wird. Das mag auch daran liegen, dass es
bislang praktisch keine Untersuchungen zu den wirtschaftlichen Folgen dieses
Problems gibt, wie wir zeigen konnten. Schadstoffbelastete Altsedimente sind
aber eine tickende Zeitbombe, mit jeder Flut hochgehen kann. Wir brauchen jetzt
flächendeckend ein gutes Management der Flüsse, das nicht nur unmittelbare
Gefahren für Menschen, Tiere und Bauwerke in den Blick nimmt, sondern auch die
langfristigen Folgen durch die Altlasten in den Flussbetten. So müssen wir zum
Beispiel unbedingt die landwirtschaftlich genutzten Überflutungsgebiete auf
Fluss-spezifische Schadstoffe untersuchen, damit diese nicht in Form von
Fleisch und Milchprodukten auf unseren Tellern landen.“
Auch die aktuellen extremen Hochwasserereignisse in
Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen werden von Wissenschaftler:innen der
Goethe-Universität in Kooperation mit der RWTH Aachen, der University of
Saskatchewan in Kanada, dem Helmholtzzentrum für Umweltforschung Leipzig, dem
ISOE - Institut für sozial-ökologische Forschung, dem Senckenberg-Institut, dem
LOEWE-Zentrum für Translationale Biodiversitätsforschung und vielen weiteren
Partnern in einem interdisziplinären Ansatz von den biologischen,
ökotoxikologischen, ökologischen, geowissenschaftlichen, wasserbaulichen, aber
auch sozialökologischen und ökonomischen Folgen untersucht. Diese
Untersuchungen sind eingebettet in den neuen Forschungscluster RobustNature an
der Goethe-Universität, der Robustheit und die Resilienz von
Natur-Gesellschaftssystemen im sich veränderten Anthropozän untersucht und zur
wissensbasierten Transformationsforschung an den Beispielen Biodiversität und
Wasser beitragen möchte – also vom Wissen zum Handeln.
Publikationen: Sarah E. Crawford, Markus Brinkmann, Jacob D. Ouellet, Frank
Lehmkuhl, Klaus Reicherter, Jan Schwarzbauer, Piero Bellanova, Peter Letmathe,
Lars M. Blank, Roland Weber, Werner Brack, Joost T. van Dongen, Lucas Menzel,
Markus Hecker, Holger Schüttrumpf & Henner Hollert: Remobilization of
pollutants during extreme flood events poses severe risks to human and
environmental health. Journal of Hazardous Materials 421 (2022) 126691 https://doi.org/10.1016/j.jhazmat.2021.126691
Der
Artikel ist unter dem folgenden Link des Verlages die nächsten 6 Wochen frei
zugänglich: https://authors.elsevier.com/c/1dSu515DSlK2Np
Zur Hintergrundinformation: Henner Hollert, Markus Brinkmann,
Sebastian Hudjez, Catrina Cofalla, Holger Schüttrumpf: Hochwasser – ein
unterschätztes Risiko. Schadstoffe als „Zeitbomben“ im Sediment. Biologie
in unserer Zeit, 1/2014 (44) https://doi.org/10.1002/biuz.201410527
Bild zum Download:
www.uni-frankfurt.de/103948311
Bildtext: Die Remobilisation von Schadstoffen aus Sedimenten bei extremen
Hochwässern ist eine bisher unterschätzte Folge von Extremereignissen. Bild:
Crawford, S. et al. (2021) J. Haz. Mat.
Weitere Informationen
Prof.
Dr. Henner Hollert
Abteilung
Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie
Institut
für Ökologie, Evolution und Diversität
Goethe-Universität
Frankfurt
und
LOEWE-Zentrum
für Translationale Biodiversitätsgenomik
Tel
+49 69 798-42171 und +49-151-14042119
hollert@bio.uni-frankfurt.de
https://www.bio.uni-frankfurt.de/43970666/AK_Hollert